Frage nach der Strategie gegen das VSG spaltet KBV und Basis
BERLIN - Dejavu? Im Winter 2006 waren es Tausende, die an gleicher Stelle zum Auftakt der ersten großen Kundgebung gegen die Staatsmedizin von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht weit vom Brandenburger Tor zusammenkamen. Zur Winter-Vertreterversammlung der KBV kamen 2014 nicht einmal zwei Dutzend Demonstranten, um gegen die neuesten Reformpläne diesmal von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zu protestieren. Und prompt gerieten die Körperschaft und die Basis wie schon im Protestjahr 2006 aneinander.
Einstimmig hat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in einer Resolution den Referentenentwurf für das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz zurückgewiesen. Der Gesetzgeber stelle mit dieser Vorlage „die Weichen für einen deutlichen Rückbau der freiberuflichen ambulanten wohnortnahen Versorgung“ und sende damit „ein verheerendes Signal an den dringend benötigten ärztlichen und psychotherapeutischen Nachwuchs“ aus, befand die VV. Zurückgewiesen wird der Arbeitsentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium insbesondere wegen der massiven „Förderung von Angestellten-Strukturen und Strukturen staatlich organisierter Gesundheitsversorgung“. Im Fokus der Kritik stehen vor allem zwei Pläne des Gesetzgebers: die „Soll-Vorschrift“ an die Adresse der KVen, in überversorgten Gebieten frei werdende Arztsitze durch die KV aufzukaufen und die zentral gesteuerte Terminvergabe „durch behördenähnliche Strukturen“.
Allein die geplanten Praxisschließungen in rein rechnerisch überversorgten Regionen hätten gravierende Folgen, beschwor der 1. Vorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen in seiner Rede zur Lage die Folgen: In den kommenden drei Jahren würden in diesen Gebieten rund 10.000 Ärzte ihre Praxen aus Altersgründen aufgeben, so Gassen.
„Wenn eine Praxis schließen muss, betrifft das auch die Arbeitsplätze der dort Angestellten. Bei zwei bis drei Mitarbeitern pro Praxis stünden allein in den nächsten drei Jahren Zehntausende Arbeitsplätze zur Disposition", malte er weitere Konsequenzen aus. Wie man mit deutlich weniger Praxen die Wartezeiten auf einen Termin verkürzen wolle, bleibe ein Rätsel. „Die längsten Wartezeiten auf einen Facharzttermin haben genau diejenigen Staaten, die dabei regulierend eingreifen. Und wer hat die kürzesten Wartezeiten im internationalen Vergleich? Deutschland!“, verwies der KBV-Vorstandsvorsitzende auf das Ergebnis einer internationalen Studie.
In weiteren ebenso einstimmig verabschiedeten Entschließungsanträgen wendete sich das Parlament der ärztlichen Selbstverwaltung gegen eine „weitere Diversifikation der Versorgung durch die Öffnung von Krankenhausstrukturen“ und die wettbewerbsverzerrende Beteiligung der Kommunen bei der Einrichtung vom Medizinischen Versorgungszentren“.
Der KBV-Vorstand erhielt den Auftrag, sich dafür einzusetzen, dass die selbstständige Ausübung des freien Arztes in künftigen Gesetzen, Verfahren und Förderungen „stets Vorrang vor nichtselbstständigen Formen der Berufsausübung“ behält mit der spürbaren Konsequenz, die noch verfügbaren Haushaltsmittel der laufenden KBV-Image-Kampagne „Wir arbeiten für ihr Leben gern“ schnellstmöglich umzuwidmen: für eine Kampagne zum Erhalt der Freiberuflichkeit und der freien, selbstständigen Arztpraxis.
So einstimmig die VV in nur einer Viertelstunde ihre Beschlüsse fasste, so kontrovers verlief der Weg dorthin. Zunächst kam es zu einem Eklat. Die VV folgte nämlich mehrheitlich nicht einem Vorschlag des Tagungspräsidiums, allen Gästen an diesem Tag Rederecht einzuräumen, nachdem rund zwei Dutzend Vertreter der Freien Ärzteschaft und des Bundesverbands niedergelassener Fachärzte zuvor bereits am Eingang zum Tagungshotel in der Berliner Stauffenbergstraße mit Transparenten ihre „Vertreter“ vor Beginn der Sitzung mit Protestplakaten und Transparenten empfangen hatten. „25.000 Arztpraxen schließen — damit Wartezeiten verkürzen?“, hieß es da. „Minister Gröhe, glauben Sie noch an den Weihnachtsmann?"
„Wir sind die Basis“ schallte es nach dem „Nein“ zum Rederecht durch den Plenarsaal. Die Demonstranten verließen daraufhin demonstrativ die VV, um vor der Tür eine spontane Pressekonferenz abzuhalten. Keine 30 Minuten später stimmte die VV dann doch zu, zumindest fünf Vertreter der „Basis“ in der Versammlung zu Wort kommen zu lassen.
Dabei waren sich inhaltlich Basis und Ärztevertreter nahezu völlig einig. Dr. Ilka Enger vom Bundesverband Freier Ärzte sprach von einem Sturm auf die Freiberuflichkeit, den es zu stoppen gilt. Der Widerstand der Ärzte gegen ein solches Vorhaben müsse öffentlich gemacht werden, forderte sie.
Die Kritik an der KBV war umso harscher: Für die Freie Ärzteschaft (FÄ) warf der Dermatologe Dr. Wieland Dietrich dem KBV-Vorsitzenden Gassen eklatante Versäumnisse vor: „Es hat die Notwendigkeit gegeben, die Basis zu mobilisieren.“ Sollte das Versorgungsstärkungsgesetz wie geplant kommen, müsse die KBV auch ihre eigene Rolle als Interessenvertretung der Ärzte überdenken, forderte er.
„Die Basis hat das Vertrauen in die KBV verloren", hielt der Wuppertaler Orthopäde Steffen Kaudert von der FÄ der VV vor. Sie wisse nicht, was mit der Verabschiedung des VSG auf dem Spiel steht, denn sie sei von der KBV nicht einmal hinreichend informiert worden.
Gassen quittierte die Attacken später mit dem nicht minder bissigen Hinweis: ein Heerführer, der sich auf solche Truppen verlasse, stehe auf verlorenem Posten. Im Übrigen dürfe die KBV als Körperschaft bekanntlich aus rechtlichen Gründen nicht zum Protest gegen die Politik des Ministeriums aufrufen.
„Ohne die Basis geht es nicht“
Unter den zahlreichen Gästen der VV war neben anderen Spitzenvertretern fach- und hausärztlicher Berufsverbände auch BVDD-Präsident Dr. Klaus Strömer. „Ich habe Verständnis für den Protest der Basis. Ohne die geht es in der politischen Auseinandersetzung nicht", zog Strömer ein kritisches Resümee. Kein Verständnis hat der BVDD-Präsident auch dafür, dass die noch von Gassens Vorgänger Dr. Andreas Köhler initiierte Umfrage zu den Bedingungen der Ärzte für die weitere Übernahme des Sicherstellungsauftrags offenbar keine Rolle mehr in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der aktuellen Gesundheitspolitik spielt. „Damals gab es Fristen bis wann bestimmte Meilensteine erreicht werden sollen. Davon ist heute leider keine Rede mehr", moniert Strömer.
Mitglieder des BVDD lesen mehr zum Versorgungsstärkungsgesetz in der Januar-Ausgabe von DER DEUTSCHE DERMATOLOGE.