„Das Grundproblem des deutschen Gesundheitswesens ist, dass einer durch Bürokratie und Teilzeittätigkeit stetig sinkenden Arztzeit immer mehr Arzt-Patientenkontakte gegenüberstehen“, sagt Dr. Steffen Gass, in Günzburg niedergelassener Hautarzt. So werden im ambulanten vertragsärztlichen Sektor jedes Jahr 580 Millionen Behandlungsfälle betreut. Durchschnittlich geht jeder Bundesbürger jährlich 18 Mal zum Arzt. „Der nun vorliegende Referentenentwurf für ein Terminservice- und Versorgungsgesetz hat für dieses Problem keine Lösung“, betont BVDD-Vizepräsident Gass. „Die darin geforderte Aufstockung der wöchentlichen Mindestsprechstundenzeit für gesetzlich Versicherte von 20 auf 25 Stunden bei einem vollen Versorgungsauftrag wird in Deutschland nur wenige hundert Ärztinnen und Ärzte tatsächlich treffen und zu keiner relevanten Ausdehnung der Behandlungskapazität führen.“ Schon heute wenden niedergelassene Ärztinnen und Ärzte nach Angaben des Zentralinstitutes für die kassenärztliche Versorgung (Zi) tatsächlich durchschnittlich 35,8 Stunden pro Woche für die Versorgung von GKV-Patienten auf.
Gleichzeitig sieht der Entwurf des TSVG vor, dass die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen ausgeweitet werden. Sie sollen künftig auch Termine bei Haus- sowie Kinder- und Jugendärzten vergeben und rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr erreichbar sein. Bislang müssen die Terminservicestellen innerhalb von vier Wochen Termine bei Fachärzten und Psychotherapeuten vermitteln. „Durch die Ausweitung der Terminservicestellen wird die Anspruchshaltung der Patienten weiter gestärkt und die Behandlungsfälle in den Praxen werden noch weiter ansteigen“, warnt der BVDD-Vizepräsident.
Neue bürokratische Hürden
Darüber hinaus kommen nach Ansicht des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen bei einer Umsetzung der Gesetzespläne neue bürokratische und administrative Hürden auf die Ärzte zu. So sollen künftig Leistungen der Versicherten- und Grundpauschalen für neue Patienten und Leistungen, die aufgrund der Vermittlung einer Terminservicestelle erbracht werden, ebenso extrabudgetär vergütet werden wie alle Akutnotfälle und die Versorgung von Patienten in den verpflichtend einzuführenden offenen Sprechstunden. „So positiv die Entbudgetierung dieser Leistungen auf den ersten Blick auch scheint – sie wird kaum administrierbar und kontrollierbar sein“, unterstreicht Gass.
Die Umsetzung einer extrabudgetären Vergütung bei Neupatienten werde schon durch die Frage erschwert, was ein Neupatient überhaupt ist. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Neupatienten nicht nur solche sind, die erstmals überhaupt den Arzt konsultieren, sondern auch Bestandspatienten, bei denen eine neue Krankheit diagnostiziert wird. Zudem soll als neuer Patient auch derjenige gelten, der längere Zeit den Arzt nicht konsultiert hat, ihn dann aber wegen der gleichen Krankheit wieder in Anspruch nimmt. „Hier wird ein neues Bürokratie-Monster geschaffen“, so der BVDD-Vizepräsident. „Wir werden in den Praxen mit Sicherheit zahlreiche neue Kennzeichnungen bekommen, um den Status des Patienten zu definieren.“
Maßnahmen generieren keine neuen Ärzte
Skeptisch sieht der BVDD zudem auch die Anreize zur Niederlassung auf dem Lande. Es soll obligatorische regionale Zuschläge für Ärzte auf dem Land sowie verpflichtende Strukturfonds der Kassenärztlichen Vereinigungen geben; Niederlassungssperren sollen fallen. „Diese Maßnahmen generieren weder mehr Ärzte noch machen sie einen Standort attraktiver. Dabei spielen vor allem auch Möglichkeiten, ob Partner ebenfalls in der Region einen Job oder Kinder ein gutes Bildungsangebot finden, eine zentrale Rolle“, erläutert der Vizepräsident des BVDD.
Ebenso sollen laut Gesetzentwurf die Zulassungsbeschränkungen für Rheumatologen, Psychiater und Psychotherapeuten sowie für Kinderärzte bundesweit ausgesetzt werden. Woher die neuen Kolleginnen und Kollegen plötzlich kommen sollen, bleibe jedoch offen, so Gass. Zudem habe diese Maßnahme zur Folge, dass bestehende Kapazitäten in Ballungszentren über Teilzeitkräfte weiter ausgebaut werden und dass die Praxen der bisher in diesen Fachgebieten tätigen Ärzte auf einen Schlag wertlos werden. Eine Verbesserung der flächendeckenden Versorgung in diesen Fachgebieten werde auf diese Weise nicht erreicht.
Das Fazit des BVDD-Vizepräsidenten fällt eindeutig aus: „Mit diesem Referentenentwurf kann man zwar hervorragend Politik machen, nicht aber gute Medizin.“
wha/BVDD