Krankenkassen planen drastische Kürzungen bei Präventionsleistungen
BERLIN - Mit Einführung der Euro-Gebührenordnung für die vertragsärztliche Versorgung ab dem 1. Januar 2009 wollen die Krankenkassen die Leistungsvergütungen im Bereich der Prävention drastisch kürzen. Dies geht aus einem Rundschreiben des Bewertungsausschusses Ärzte an die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) der Länder hervor, das verschiedenen haus und fachärztlichen Verbänden vorliegt. Ein breites Aktionsbündnis von betroffenen Verbänden macht jetzt gegen diese Pläne mobil. Beteiligt ist auch der Berufsverband der Deutschen Dermatologen.
Ihr TextWie zwischenzeitlich bekannt wurde, soll auf Initiative des GKV-Spitzenverbandes, der Dachorganisation der gesetzlichen Krankenkassen, die bisherige Bewertung der Präventionsleistungen abgesenkt werden und durch den „Orientierungspunktwert“ ersetzt werden. Betroffen von dieser Maßnahme wären vor allem Arztgruppen, die sehr stark in der Prävention von Krankheiten tätig sind. Kinder- und Jugendärzten, Gynäkologen aber auch hausärztlich tätige Internisten, Dermatologen, Urologen sowie Hausärzten sehen durch diese Kürzungen, die das Einkommen in der Praxis bis zu einem Drittel verringern, die Existenzgrundlage ihrer Praxen bedroht.
„Die Pläne der Krankenkassen sind das genaue Gegenteil dessen, was von der Politik gefordert wird. Seit Jahren werden alle Anstrengungen unternommen, um die Menschen für die Gesundheitsvorsorge zu motivieren“, kritisiert Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Hartmann verweist in diesem Zusammenhang auf die wichtige begleitende Entwicklungsbeurteilung der Kinder und die präventiven Beratungen zur frühkindlichen Entwicklung in der Vorschulzeit, um die Kinder auf ein erfolgreiches Leben mit qualifiziertem Schulabschluss vorzubereiten.
„Bei uns Kinder- und Jugendärzten hat die Politik in den meisten Bundesländern die Vorsorgeuntersuchungen der Kleinsten sogar zu Pflichtuntersuchungen hochgestuft. Und nun planen die Krankenkassen die Kürzung genau dieser Honorare, damit bedrohen sie nicht nur unsere wirtschaftliche Existenz, sie gefährden auch die gesundheitliche Entwicklung der nächsten Generation“, so Hartmann weiter.
Negative Auswirkungen bei der Versorgung der jährlich mehr als 600.000 Schwangeren erwarten auch die Gynäkologen. „Deutschland hat ein weltweit einmaliges Betreuungssystem bei der Schwangerenvorsorge. Die intensive Betreuung der Frauen, die ein Kind erwarten, ist mit sehr viel Personal, medizinischen Einrichtungen und Aufwand verbunden. Sollten Honorare in der geplanten Art und Weise gekürzt werden, dann käme es auf Grund der notwendigen Kostenreduktion in der Praxis zu langen Wartezeiten und in der Konsequenz zu einer deutlich schlechteren Versorgung der Schwangeren in Deutschland“, warnt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF).
Mit Hinweis auf den Gesetzestext sieht der Gynäkologenpräsident vor allem die Politik in der Pflicht. „Die Formulierung im Sozialgesetzbuch (§87a, SGB V) ist eindeutig: Demnach können vertragsärztliche Leistungen außerhalb der vereinbarten Gesamtvergütungen honoriert werden, wenn sie besonders gefördert werden sollen. Diese Förderung der gesundheitlichen Vorsorge ist ja im Interesse der gesamten Gesellschaft und so auch in allen Parteiprogrammen formuliert. Insofern erwarte ich hier eine eindeutige Klärung durch die Politik“, unterstreicht Albring.
Als weitere Konsequenz einer möglichen Honorarkürzung sehen die Ärztevertreter bestehende und neuen Vorsorgeuntersuchungen in Gefahr. „Trotz großer Anstrengungen ist es uns bisher nicht gelungen, alle Frauen in Deutschland für die regelmäßige Gesundheitsvorsorge zu gewinnen. Leider kommen nur etwa 50% zur jährlichen Krebsvorsorge – und das obwohl wir wissen, dass die meisten Krebserkrankungen mit Todesfolge bei Frauen auftreten, die drei bis fünf Jahre nicht mehr beim Frauenarzt waren. Statt Honorarkürzungen bei der Prävention vorzunehmen, sollten alle Anstrengungen dahin gehen, die Gesundheitsvorsorge auch finanziell weiter auszubauen. Viele Krebsarten führen - bei rechtzeitiger Entdeckung – nicht zum Tode. Die Folgekosten der Krebstherapien explodieren dagegen – das zeigt, wie kurzsichtig die geplante Absenkung der Honorare ist. Jetzt ist es an der Politik, die ja massiv für die Gesundheitsprävention eintritt, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Diese Kürzungspläne müssen sofort vom Tisch“, mahnt Albring.
Irritiert zeigen sich auch die Vertreter von Arztgruppen, deren bundesweite Präventionsprogramme gerade erst gestartet sind. So haben gesetzlich Versicherte ab 35 Jahren seit 1. Juli 2008 Anspruch auf eine Früherkennungsuntersuchung gegen Hautkrebs. Dieses so genannte Hautkrebsscreening, das alle zwei Jahre vorgesehen ist, wird noch nicht von allen entsprechend qualifizierten Ärzten auch aktiv angeboten.
„Um ein solch flächendeckendes Angebot bei den niedergelassenen Ärzten zu etablieren, sind natürlich auch neue Abläufe und entsprechende Aufklärungsaktionen in den Praxen notwendig. Man kann sich ja vorstellen, welches Signal an die Kollegen geht, wenn man jetzt – unmittelbar nach der Einführung des Programms – bereits eine Kürzung der Honorare diskutiert. Das ist absurd und den Hautärzten nicht vermittelbar. So wird ein gutes Präventionsprogramm bereits zu Beginn von den Kassen torpediert“, kritisiert Michael Reusch, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) und kündigt fundamentalen Widerstand an.
Für Wolf von Römer, hausärztlicher Internist und stellvertretender Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI), bedeuten die Planungen der Krankenkassen eine Kehrtwende bei der Gesundheitsreform. „Vorsorgen ist besser als Heilen – das war eine der Kernaussagen der Gesundheitsreform, die im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist. Die Kassen selbst haben ihren Mitgliedern Bonuszahlungen versprochen, wenn sie regelmäßig zur Vorsorge gehen. Und den Ärzten, die diese Untersuchungen durchführen, soll zukünftig das Honorar dafür gekürzt werden? Das versteht doch niemand und deshalb muss dieser Unsinn schnellstens beendet werden, damit der Präventionsgedanke in diesem Land keinen Schaden nimmt“.
Betroffen von den geplanten Kürzungen wären die Patienten von mindestens 80.000 niedergelassenen Ärzten in Deutschland. Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF), der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der Hausärztliche Internisten und der Dermatologen (BVDD) haben sich jetzt in einer gemeinsamen und abgestimmten Initiative an die Öffentlichkeit gewendet, um vor den Folgen zu warnen.