Sehr geehrter Prof. Dr. Lauterbach,
in einem Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung haben Sie kritisiert, dass Ärzte keine kundenfreundlichen Sprechzeiten anböten, weder Mittwoch- noch Freitagnachmittag arbeiteten und mancher Arzt Mittwochnachmittag auf dem Golfplatz gesehen werde (Sie haben dies wahrscheinlich beim eigenen Golfspiel beobachtet?). Besser hätten Sie Mittwoch- oder Freitagnachmittag einmal in Altenheimen, Pflegeheimen oder auch bei vielen Patienten zu Hause nachgesehen – dort ist die Arztfrequenz durch Kolleginnen und Kollegen, die zu diesen Zeiten oft Hausbesuche machen, deutlich höher.
Ich denke, dass Ihnen diese Statements im Sturm der öffentlichen Entrüstung, die allenthalben in Kommentaren zum Ausdruck kam, bereits um die Ohren geflogen sind. Für mich als niedergelassenen Mediziner sind die Aussagen weniger wegen einer konkreten Aussage, als wegen der subtilen Art und Weise ihrer Präsentation bedenklich.
Zunächst suggerieren Sie, dass Ärztinnen und Ärzte immer Mittwochs- und Freitagmittag „frei“ hätten. Wie Sie sicherlich wissen, ist das Bild des Arztberufes im öffentlichen Ansehen seit jeher an vorderster Stelle – übrigens ganz im Gegensatz zur Position, die Politiker in derartigen Rankings gewöhnlich einnehmen. Und dies hat einen triftigen Grund: Während Politiker oft als Eigenprofiteure wahrgenommen werden, die vornehmlich ihre ureigenen Interessen unter anderem in diversen Aufsichtsräten vertreten, ist der Arztberuf deshalb so angesehen, weil er von den „Berufenen“ verlangt, nicht die ökonomische Seite im beruflichen Handeln in den Vordergrund zu stellen – dies kann übrigens auch in den Berufsordnungen der Ärztekammern nachgelesen werden. Dabei wird die gewöhnliche Wochenarbeitszeit meist weit überschritten.
Bereitschafts- und Nachtdienste bleiben unerwähnt
Darüber hinaus zitiert Sie die Osnabrücker Zeitung so, dass Ärztinnen und Ärzte im Gegensatz zu belasteten Arbeitnehmern an den genannten Tagen frei hätten – die durchschnittliche Arbeitszeit niedergelassener Ärztinnen und Ärzte liegt bei ca. 52 Stunden und damit 30 Prozent (!) über der 40-Stundenwoche. Unerwähnt lassen Sie die ärztlichen Bereitschaftsdienste und Nachtdienste, die eine ganzjährige Rund-um-die-Uhr-Betreuung, auch an Sonn- und Feiertagen, aller Menschen in Deutschland ermöglichen.
Wenn Ärztinnen und Ärzte Sport treiben, müsste dies doch von Ihnen als Gesundheitspolitiker begrüßt werden. Die Belastungen des Arztberufes und das Arbeitszeitaufkommen sind hoch und Patienten möchten nicht von Ärztinnen und Ärzten behandelt werden, die kränker sind als sie selbst. Oder wollen Sie Ärztinnen und Ärzten generell davon abraten, Sport zu treiben?
Natürlich frage ich mich als geneigter Rezipient Ihrer Aussage, wieso Sie ausgerechnet den Golfsport als Musterfreizeitbeschäftigung an Nachmittagen auswählen. Wäre es zum Beispiel akzeptabel, wenn Ärztinnen und Ärzte am Mittwochnachmittag Dauerlauf betrieben oder Wandern gingen? Auch kenne ich wesentlich mehr Kolleginnen und Kollegen, die andere Sportarten und eben nicht den von Ihnen zitierten Golfsport betreiben.
Metapher für den Klassenkampf?
Oder ist es vielleicht so, dass der Golfsport von Ihnen als Metapher des Klassenkampfes bewusst eingesetzt wird? Auch da sind Sie nicht auf der Höhe der Zeit, verehrter Herr Lauterbach. Der Golfsport ist längst in der Mitte der Gesellschaft angelangt und Standesdünkel spielen hier keine Rolle mehr. Mir sind sogar mehrere mit mir befreundete SPD-Mitglieder bekannt, die Golf spielen. Muss ich die nun an die Parteiführung melden oder droht ihnen gar ein Parteiausschlussverfahren? übrigens ein Instrument, das sich bei Ihnen bei „Abweichlern“ ja zunehmender Beliebtheit erfreut.
Grund für Ihre Einlassungen sind ja offenbar die gestiegenen Wartezeiten in Arztpraxen, lange Wartezeiten auf Termine beim Facharzt und die zunehmende „Entarztung“ ganzer ländlicher Bereiche in Deutschland – also Bereiche, in denen gerade für ältere Menschen keine ärztliche Versorgung mehr besteht. All diese Themen sind für die Betroffenen und auch für Ärztinnen und Ärzte ein Ärgernis.
Sie, als „Gesundheitsexperte“ tun nun aber gerade so, als sei diese Situation plötzlich entstanden. Schauen Sie sich mal die lange Zeitspanne an, in der Sie, auch ganz persönlich, und Ihre Partei Verantwortung getragen haben und noch immer Verantwortung tragen. Sie, verehrter Herr Lauterbach, Sie haben versagt. Versagt, indem Sie den Arztberuf immer unattraktiver gemacht haben, indem Sie eine überbordende Bürokratie aufgebaut haben, die die Arbeit am Patienten immer mehr reduziert und die Arbeit am Computer immer mehr ausweitet, und indem Sie keine ausreichende Zahl an Medizinstudienplätzen bereitgestellt haben. Außerdem haben Sie es gerade wegen der beschriebenen Zustände mit zu verantworten, dass ein erheblicher Teil der Medizinstudierenden nach erfolgreich absolviertem Studium und nach den ersten Kontakten mit diesem, Ihrem System nicht mehr ärztlich tätig sein will.
Auch Sie haben es zu verantworten, dass Patienten in Notambulanzen vorstellig werden, die gar keine Notfälle sind und damit die Arbeit an echten Notfällen behindern. Sie haben den Leuten quasi eine Vollkasko-rundum-Betreuung versprochen, nur, dass Sie diese in ihrem umfassenden Heilsversprechen nicht persönlich in der Praxis umsetzen müssen.
Erstaunlicherweise reden Politiker wie Sie immer von Verantwortung – Verantwortung, die man gerne übernehme, wenn man gewählt werden will. Wenn`s aber drauf ankommt, wie in dieser schwierigen Zeit mit weit über einer Million zusätzlichen Menschen in Deutschland durch die Flüchtlings- und Migrationskrise, mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft und damit dem erheblich gestiegenen Bedarf an medizinischen Leistungen und mit dem erweiterten Leistungsanspruch einer zur Vollkaskomentalität erzogenen Patientenschaft, dann ist´s nicht mehr weit her mit Ihrer Verantwortung als Gesundheitsexperte einer Regierungspartei. Dann reicht`s gerade noch, die Probleme bei golfspielenden Ärztinnen und Ärzten abzuladen.
Oder steckt hinter ihrer Einlassung doch ein politischer Winkelzug, nämlich die Zerstörung des seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland hoch erfolgreichen Modells niedergelassener, freiberuflicher Ärztinnen und Ärzte? Ärztinnen und Ärzte, die nicht weisungsgebunden arbeiten und die sich die Patienten frei aussuchen dürfen.
Derzeit werden Praxen zunehmend von großen Gesundheitskonzernen aufgekauft. Konzerne vom Schlage der Rhön-Klinikum AG, bei der Sie ja von 2001 bis 2013 im Aufsichtsrat saßen. Um mit Ihrem Altvorderen Franz Müntefering zu sprechen, sogenannte „Heuschrecken“. Spielt aber jetzt keine Rolle mehr – Hauptsache, die Politik gewinnt mehr Einfluss auf die ambulante ärztliche Versorgung. Vielleicht können Sie das dann wieder als Aufsichtsrat begleiten.
Wir brauchen selbstbewusste Ärztinnnen und Ärzte
Nein, Herr Lauterbach, wir brauchen nicht mehr Staat und nicht mehr Einfluss von Politik oder Großkonzernen; wir brauchen selbstbewusste Ärztinnen und Ärzte, die ihr Handeln am Wohl ihrer Patienten ausrichten. Da Sie sich zwar als Arzt profilieren, aber keine langjährige Erfahrung im Arztberuf haben, können Sie diesem Denkmuster offenbar nicht folgen.
Schließlich stelle ich mir die Frage, ob Sie Ihre Stellungnahme zu golfspielenden Ärzten versehentlich abgegeben haben oder hier ein bewusstes Statement setzen.
Im ersten Fall wären Sie in Anbetracht der leichtfertigen und unbedachten Äußerung als Politiker nicht qualifiziert. Im zweiten Fall nutzen Sie bewusst Metaphern, die die Polarisierung der Gesellschaft schüren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächen und eine angesehene Gruppe der Gesellschaft diffamieren, um sich politisch anzubiedern – das wäre dann Populismus. Wie man es auch dreht, in keinem Fall sind Sie vor dem Hintergrund Ihrer Äußerungen als Politiker qualifiziert.
Prof. Dr. Thomas Dirschka
BVDD