Innovationsbremse Gesundheitsfonds

Gesundheitspolitik

Krankenkassen beklagen: Kein Geld für Verbesserungen der Versorgung

BERLIN - Am 31. Dezember läuft die Anschubfinanzierung für die integrative Versorgung aus. Der gesetzlichen Krankenversicherung droht spätestens dann das Geld auszugehen für die Entwicklung innovativer Versorgungskonzepte. Vor dieser Entwicklung haben in Berlin Krankenkassenvertreter und Gesundheitsexperten gewarnt.

Bislang noch steht für strukturelle Neuerungen im Rahmen des Risikostrukturausgleichs zwischen den Krankenkassen bis zu 1 Prozent der Gesamtvergütung aus dem ambulanten und stationären Bereich zur Verfügung. In den vergangenen vier Jahren sind mit diesen Mitteln immerhin 5.100 Projekte für neue Kooperationsformen zwischen Kassen, Ärzten, Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen ins Leben gerufen, wie Helmut Hildebrandt vom gleichnamigen Hamburger Gesundheits-Consulting- Unternehmen bei einer Pressekonferenz verdeutlichte. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 wird dieser Topf geschlossen.

 

Die Krankenkassen müssen unter den gesetzlichen Bedingungen des Gesundheitsfonds kostendeckend arbeiten und die nötigen Mittel für strukturelle Verbesserungen aus ihrem Etat aufbringen. Modellversuche und alternative Vertragsformen können dann lediglich noch durch Einsparungen oder aber aus Einnahmesteigerungen finanziert werden. Eine Erhöhung des Beitragssatzes aber gilt im Wettbewerb als kaum durchsetzbar, wie Robert Paquet, Leiter des Berliner Büros des BKK-Bundesverbandes, und der Vorstandsvorsitzende des IKK-Bundesverbandes Rolf Stuppardt übereinstimmend ihr Dilemma erläuterten.


Die Klage der beiden Kassenvertreter ist durchaus repräsentativ, wie eine Befragung von 190 „Gesundheitsakteuren“ von Hildebrandt GesundheitsConsult (HGC) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums Ende des Vergangenen Jahres gezeigt hat. Das Innovationspotential sei „akut gefährdet, wenn es unter Fonds-Bedingungen keine ‚freien’ Investitionsmittel für Kassen mehr gibt", unterstrich Hildebrandt. HGC ist daher mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, die einprozentige IV-Anschubfinanzierung in einen Sonderetat umzuwandeln, mit dem die Kassen neue Versorgungsansätze initiieren und anfänglich finanzieren können. Insgesamt kalkuliert Hildebrandt mit einem Bedarf von 1,5 bis 4,5 Milliarden Euro.

 

Um die nötige Transparenz herzustellen – immerhin werden hier öffentliche Mittel bereitgestellt–, soll die Vergabe mit der Pflicht zur Evaluierung verknüpft werden. Nach Hildebrandts Vorstellungen sollten die teilnehmenden Ärzte für nachweislich bessere Qualität mit einem Zuschlag zur Vergütung belohnt werden – eine Anregung, die der Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem aus ordnungspolitischen Gründen durchaus differenziert betrachtet sehen will. Zu einzelvertraglichen Regelung passe eine gesetzlich vorgegebene Bonusregelung nicht. „Wenn die Vertragspartner es als sinnvoll ansehen, hierbei Elemente von Pay-For-Performance vorzusehen, werden sie dies tun“, so Wasem.


In die gleiche Kerbe schlagen auch andere Stellungnahmen zur HGC-Initiative: „Allein die Vorstellung, der Spitzenverband Bund – oder sonst wer – soll Kriterien festlegen, was innovativ ist – und was nicht – und was sinnvolle Forschung und Entwicklung ist – und was nicht – verschafft mir erhebliches Unbehagen", äußert beispielsweise Dr. Claus Jacobs. „Das atmet mir von vorneherein erheblich zu viel Planwirtschaft.“ Jacobs ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK und plädiert anders als die Vertreter von IKK und BKK dafür, die Mittel für Forschung und Entwicklung wie vom Gesetzgeber vorgesehen aus der Leistungsvergütung aufzubringen. Doch auch innerhalb des AOK-Bundesverbandes gibt es hierzu durchaus konträre Meinungsäußerungen, wie Hildebrandts Umfrage zeigt.


Ganz offensichtlich ist die drohende Innovations-Krise in der gesetzlichen Krankenversicherung mangels konsensfähiger Konzepte kurzfristig nicht ohne weiteres abzuwenden – es sei denn die Bundesregierung erhöhte den Bundeszuschuss. Doch damit rechnet in Berlin ernsthaft niemand.


Dejavu: Nach Einführung der Disease Management-Programme brauchte der Gesetzgeber eine weitere Legislaturperiode ehe er die Anschubfinanzierung regelte. In der Zwischenzeit extemporierten die Krankenkassen mit Botschaften wie: die Mittel zur Finanzierung des Gesundheitswesens reichten aus, sie seien nur falsch verteilt und Investitionen in eine verbesserte Versorgung müssten aus Einsparungen finanziert werden.


Die Konsequenzen der Innovationskrise für die Dermatologie – beispielsweise für den aktuellen Hoffnungsträger, die Psoriasisnetzwerk-Initiative – lassen sich unschwer absehen: Bislang schon war das Fachgebiet ungeachtet der – vom Sachverständigenrat im Gesundheitswesen anerkannten – strukturellen Unterversorgung chronisch Hautkranker bei Innovationen im System regelmäßig ausgeblendet. Unter den Bedingungen der Unterversorgung können Verbesserungen der Versorgungen sich unmöglich amortisieren. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist derzeit nicht erkennbar, woher sonst die erforderlichen Mittel für einen grundlegenden Wandel zum Besseren kommen sollten...