Zwangsjacke für Patienten und Ärzte

Gesundheitspolitik

KBV-Vertreterversammlung warnt vor hausarztzentrierten AOK-Verträgen

BERLIN - Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat entschlossenen Widerstand gegen hausarztzentrierte Versorgungsverträge nach §73 b SGB V ohne KV-Beteiligung angekündigt. „Wer die KV ausschließt, muss es auch ohne KV schaffen!“ unterstrich KBV-Vorstand Dr. Andreas Köhler vor der Vertreterversammlung und sagte damit einer Ausschreibung der AOK in Baden-Württemberg öffentlich den Kampf an.

Die laufende Ausschreibung im Ländle wertet Köhler als „Frontalangriff auf die flächendeckende ambulante Versorgung“ und Blaupause für einen bundesweiten Ausstieg aus dem Kollektivvertrag.


In Baden-Württemberg muß der künftige Vertragspartner der AOK mit mindestens 3000 Hausärzten die hausärztliche Versorgung flächendeckend übernehmen. Das besagt die öffentliche Ausschreibung.


Hierfür komme neben der KV lediglich noch das Medi-Netzwerk im Bündnis mit dem Hausärzteverband infrage, so Köhler. Die vorgesehene Bereinigung der Gesamtvergütung drohe der Regelversorgung die nötigen Mittel für die Sicherstellung der Versorgung zu entziehen.


Für eine solche „Resteverwaltung“ stehe die KBV nicht zur Verfügung.  „Wer jetzt als Kasse so hoch über dem Boden balanciert, muss endlich wissen, dass seinen Versicherten das Sicherheitsnetz Kollektivvertrag fehlt", sagte Köhler weiter.


Die KBV werde als erste Konsequenz den Fremdkassenzahlungsausgleich nicht bedienen, um die Probleme von Inanspruchnahme an anderen Orten zu lösen. Lediglich noch für eine faire und solide, umfassende und absolut transparente Bereinigung werde die KBV sorgen.


Der KV Baden-Württemberg riet Köhler dringend, den ärztlichen Notdienst nicht zur Verfügung zu stellen. „Sie muss es nicht und sie schadet damit auch nicht den Patienten, denn diese können den Notdienst selbstverständlich aufsuchen, aber eben unter der Bedingung der Kostenerstattung!“ erläuterte Köhler. „Die AOK wird dann ihren Versicherten erklären müssen, weshalb sie einen solchen Vertrag, der den Patienten mit großem Aufwand belastet, abgeschlossen hat.“


Zugleich warnte Köhler die Ärzte in Bayern und Baden-Württemberg davor, sich Illusionen hinzugeben: Die vom Gesetzgeber im Zuge des Gesundheitsfonds neu geregelte Umverteilung von Mitteln zwischen den Regionen lasse sich mit einem Vertrag nach §73b SGB V nicht aushebeln, im Gegenteil. „Die AOK kann alleine deswegen, weil sie einen hausarztzentrierten Versorgungsvertrag hat, nicht einen müden Cent mehr aus dem Fonds in Anspruch nehmen", sagte Köhler und verwies auf die Gesetzessystematik.
Im Übrigen schreibe das in Baden-Württemberg von der AOK angebotene Vertragswerk – anders als der neue nicht länger budgetierte EBM mit jährlicher Anpassung an die Morbiditätsentwicklung die – „unter Berücksichtigung des derzeitigen Vergütungsniveaus“  wie es in der Ausschreibung wörtlich heißt – Honorare auf Jahre starr fest.


Unangenehme Konsequenzen haben nach Köhlers Worten auch die teilnehmende Patienten zu erwarten: „In der Ausschreibung der AOK steht, dass teilnehmende Hausärzte sich verpflichten, Preisvergleichslisten zu berücksichtigen. Im Klartext: Wenn ein Rabattvertrag für einen Wirkstoff besteht, dürfen Ärzte nur noch das rabattierte Mittel verschreiben. Therapiefreiheit und individuelle Behandlung sind passé", so Köhler.


Der AOK-Vertrag sehe eine ”enge Zusammenarbeit” der teilnehmenden Ärzte mit der Kasse ”zur Nutzung deren Präventionsangebote und spezifischer Beratungsleistungen” vor. Köhler: ”Das bedeutet nichts anderes, als dass der Arzt zum Außendienstmitarbeiter der Kasse degradiert wird, um deren Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Von einer objektiven und ergebnisoffenen Information des Patienten, wie es das ärztliche Berufsethos verlangt, kann dann keine Rede mehr sein.“


Hinzu kommt für den Arzt, dass das künftige Vertragswerk eine Datensteuerung und Kontrolle der Leistungen durch die Krankenkassen, den verpflichtenden Einsatz von Computern zur Online-Abrechnung und eine elektronische Patientenakte festschreibt.


Köhlers Resümee: „Eine freie Arztwahl, Behandlung für alle gesetzlich Versicherten ohne Rechnungsstellung, die Therapiehoheit der Ärzte – viele Errungenschaften, die unser kollektivvertragliches System auszeichnen und um die uns andere Länder beneiden, bleiben durch solche Kassen-Knebelverträge auf der Strecke.“


Das angeblich „maßgeschneiderte Vertragsangebot einzelner Kassen für bestimmte Versorgungsformen“ sei in Wahrheit eine „Zwangsjacke“, und zwar für Ärzte und Patienten gleichermaßen. Versicherte sollten sich sehr genau überlegen, ob sie sich für einen solchen Vertrag entscheiden und damit in ein „von ihrer Kassen hermetisch abgeriegeltes System“ begeben.


Die KBV-Vertreterversammlung gab dem KBV-Vorstand grünes Licht, die Ärzte, die gesetzlich Krankenversicherten und die weitere Öffentlichkeit über die Risiken eines solchen Konzepts in den kommenden Wochen und Monaten umfassend zu informieren.


Im Wortlaut
Demnächst Direktabrechnung
mit der Krankenkasse


Zu den vertraglichen Pflichten der Leistungserbriungern heißt es in der Ausschreibung der AOK Baden-Württemberg wörtlich:

  1. Flächendeckende und einheitliche Umsetzung der hausarztzentrierten Versorgung im Umfang sämtlicher Leistungen gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V für die Versicherten der AOK Baden-Württemberg durch mindestens 3.000 an der hausärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg teilnehmende Ärzte. Dabei ist die Möglichkeit zur Teilnahme für alle Leistungserbringer zu gewährleisten, die die formalen Teilnahmevoraussetzungen erfüllen.
  2. Nutzung einer online-fähigen IT (mindestens Windows 2000) und Anbindung über ISDN bzw. DSL zur einheitlichen Steuerung von Abrechnungs-, Verordnungs- und Informationsprozessen.
  3. Elektronische Abrechnung der erbrachten Leistungen einschließlich Leistungsnachweis gegenüber der AOK Baden-Württemberg.
  4. Führen einer elektronischen Patientenakte für die teilnehmenden Versicherten der AOK Baden-Württemberg.
  5. Erfüllung der in § 73b Abs. 2, Nr. 1-4 SGB V genannten Anforderungen.
  6. 6. Aktive Umsetzung von Strukturierten Behandlungsprogrammen gem. § 137f SGB V.
  7. Unterstützung von Verträgen der AOK Baden-Württemberg zur besonderen ambulanten Versorgung (§ 73c SGB V) bzw. der integrierten Versorgung (§§140a ff. SGB V).
  8. Wirtschaftliche Verordnungsweise durch Berücksichtigung von Preisvergleichslisten (z.B. im Rahmen von Verträgen gem. § 130a Abs. 8 SGB V).
  9. Sprechstundenangebot werktäglich (außer Samstag) und mindestens eine Abendsprechstunde pro Woche.
  10. Enge Zusammenarbeit mit der AOK Baden-Württemberg zur Nutzung derer Präventionsangebote und spezifischen Beratungsleistungen.