Gegen die Plastikflut "Wir können dafür sorgen, dass nicht noch mehr Schäden entstehen"

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Wegschauen geht nicht mehr: Nachrichten zum Klimawandel und zur Umweltzerstörung bestimmen den Alltag. Doch was dagegen tun? Die Probleme scheinen unlösbar für den Einzelnen. Nicht unbedingt, sagt die Karlsruher Hautärztin Dr. Susanne Saha. Jeder kann bei sich selbst anfangen. Im Gespräch erläutert sie, warum das Thema Plastik gerade die Dermatologie betrifft, wie sie die Plastikflut in der Hautarztpraxis einschränkt und wo sich Mitstreiter aus der Fachgruppe melden können.

Frau Dr. Saha, Sie haben sowohl beim BVDD als auch bei der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft auf das Thema Umweltverschmutzung durch Plastik und Mikroplastik in Kosmetika aufmerksam gemacht. Warum beschäftigen Sie sich damit?

Dr. Susanne Saha: Wir alle werden zunehmend mit zahlreichen Umweltkatastrophen konfrontiert, die eine direkte Folge der stetig wachsenden Weltbevölkerung und des Konsums sind. Klimawandel, Plastikmüll, Insektensterben, Waldsterben. Irgendwann habe ich gedacht, ich kann mich nicht mit allem beschäftigen, sonst lähmt mich die Masse dieser scheinbar unlösbaren Probleme. Was kann ich also als einzelner Mensch und als Ärztin unternehmen? Ich habe zunächst einige Veränderungen in meinem eigenen Konsumverhalten vorgenommen. Dann habe ich meinen Arbeitsplatz betrachtet und versucht diesen unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes neu zu bewerten.

 

Was ist dabei herausgekommen?

Dr. Saha: Mir sind Massen an Proben aufgefallen, die als Verpackungsform von sogenanntem Makroplastik zu hunderten unsere Praxis fluten. Diese beinhalten zum Teil auch Mikroplastik wie z.B. Acrylate, Polyethylenterephthalat (PET) oder Polypropylen und viele weitere, welche sich mittlerweile überall auf der Welt in Erde, Wasser und Luft nachweisen lassen. Erscheinen diese Stoffe zunächst einmal nicht bedenklich, können sie in Form von Sonnencremes jedoch unter anderem zum Absterben maritimer Lebewesen wie Korallen führen, gelangen zum Beispiel über Fische in unsere Nahrungskette und reichern sich bei Verzehr in unserem Körper an. 

Kritiker wenden ein, dass die Kosmetika in der UMSICHT-Studie vom Juni 2018 des Fraunhofer Instituts von 30 möglichen ermittelten Mikroplastik-Emissionsquellen nur den 17. Platz einnehmen und damit einen verschwindend geringen Anteil der gesamten Kunststoffemissions-Problematik darstellen. Dies erscheint damit in der Tat verschwindend gering im Vergleich zum Abrieb von Autoreifen, deren Emission von Mikroplastik weltweit 64-mal so hoch ist. Allerdings wird vergessen, dass hier nur von Mikroplastik der Inhaltstoffe von Kosmetika gesprochen wird und nicht vom zusätzlichen Eintrag ihrer Plastikverpackungen in die Umwelt. 

 

Generell gilt Deutschland aber doch als Vorbild in Sachen Recycling, oder? 

Dr. Saha: Laut Plastikatlas, der von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem BUND im Juni 2019 herausgegeben wurde, verursachten die Bundesbürger 2016 insgesamt 38 Kilogramm Plastikmüll pro Kopf. 2017 fielen laut Bundesumweltamt 5,2 Mio. Tonnen Plastik in Deutschland an. Recycelt wurden vom Plastikabfall 2,02 Mio. Tonnen, wovon 0,09 Prozent schlecht verwertbarer Plastikmüll ins Ausland gingen. 0,09 Prozent – das klingt erst einmal nicht viel. Bis Januar 2018 landete der Müll noch in China, nun landen 740.607 Tonnen monatlich im Ausland, der Löwenanteil geht mit 132.106 Tonnen nach Malaysia und damit wahrscheinlich zum Teil ins Meer. Deutschland gehört damit zu den größten Exporteuren von Plastikmüll weltweit. Es wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2050 weitere 34 Milliarden Tonnen Kunststoff produziert werden, wenn der Plastikverbrauch nicht eingeschränkt wird.

Wenn der Plastik-Konsum mit der aktuellen Geschwindigkeit voranschreitet, wird im Jahr 2050 dreimal mehr Plastik im Meer schwimmen als Fische. Eine absurde Vorstellung und eine massive Bedrohung unserer Nahrungsressourcen. Wir müssen jetzt rasch handeln und dafür sorgen, dass nicht noch mehr Plastik in die Umwelt verteilt wird.

 

Gar nicht so einfach: Von der sterilen Verpackung des Skalpells bis zum Pröbchen – bei genauerer Betrachtung ist Plastik doch kaum aus der dermatologischen Praxis wegzudenken. Wo soll man da anfangen?

Dr. Saha: Fangen wir einfach mit greifbaren und für jeden realisierbaren Projekten an. Auf kleine Plastikproben, die zudem auch noch Mikroplastik enthalten können, kann man sicherlich verzichten. Oft befinden sich mehrere in Minikartons verpackte Proben in einem mit Plastik umverpackten großen Karton. Die Probe selbst stellt dann eine kleine Plastiktube mit Steckverschluss dar, die maximal 5 ml Probenmaterial enthält. Ein Nutzer drückt – wenn überhaupt – so eine Tube einmalig aus und wirft sie dann weg. 

Es lässt sich leicht abschätzen, dass der konsequente Verzicht auf Proben durch dermatologische Praxen und Apotheken Tonnen an Plastikmüll im Jahr einsparen würde. Übrigens würde ich mir auch wünschen, dass Hersteller und Pharmafirmen konsequent auf eingeschweißte Werbung, in Zeitschriften eingeklebte Proben und Plastik-Gimmicks verzichten.

Ein weiteres Beispiel: Plastikbecher für den Wasserspender im Wartezimmer sind nicht notwendig, da gibt es umweltfreundlichere Alternativen. Im operativen Bereich und im medizinischen Alltag lassen sich allerdings viele – steril verpackte – medizinische Instrumente kaum noch wegdenken, da sie den gesetzlich vorgeschriebenen medizinischen Hygienestandards entsprechen müssen. Hier sind Ideen und Kooperationen für Alternativen zu Plastikverpackungen gefragt. 

Auch medizinische Fachzeitschriften müssten doch nicht in Plastikfolie eingepackt werden. Die Deutsche Post gibt zwar das Einschweißen in Plastik von Zeitschriften mit Sonderformaten vor. Doch auch hier gibt es sicherlich umweltfreundlichere Möglichkeiten, beispielsweise durch Papierbanderolen. Mir ist natürlich bewusst, dass überformatige Werbung, wegen der die Hefte eingeschweißt werden, eine Einnahmequelle für die Verlage darstellt.

 

Sie sprechen ein Problem an: Häufig ist es auch eine Kostenfrage auf Plastik zu verzichten.

Dr. Saha: Interessant ist, dass viele Ideen bei näherer Betrachtung in den jeweiligen Bereichen eher Geld einsparen als kosten. Für die eigene Praxis heißt das, dass es sich lohnt hier einmal genau hinzuschauen und Alternativen zu suchen oder zu entwickeln. Es hat sich gezeigt, dass der wirtschaftliche und sorgfältige Umgang mit Praxismaterial neben der Kostenersparnis auch einen positiven Effekt auf die Umweltbilanz inklusive CO2-Emission haben kann. 

 

Was haben Sie persönlich in der Praxis schon geändert?

Dr. Saha: In unserer großen Gemeinschaftspraxis nehme ich grundsätzlich keine kosmetischen Proben an und bespreche mit den Pharmareferenten und auch Patienten, warum ich die Proben ablehne. Viele Menschen stimmen mir zu, lassen aber klar erkennen, dass sie sich in der Masse der Konsumprodukte hilflos fühlen, da sie nach wie vor keine vernünftigen Alternativen sehen. Mir selbst sind kosmetische Produkte aufgefallen, die versuchen, durch eine irreführende Beschreibung und Namensgebung Umweltfreundlichkeit vorzutäuschen. Schaut man jedoch genauer hin, dann ist oft genau das Gegenteil der Fall. 

 

Und im privaten Umfeld?

Dr. Saha: Zuhause versuchen wir, unseren eigenen Haushalt zu optimieren. Im Internet gibt es zahlreiche Tipps, wie sich Plastik vermeiden lässt. Beim Einkaufen nehmen wir Beutel von daheim mit sowie Gläser und Tupperdosen für den Markt. Wir versuchen, so plastikarm wie möglich einzukaufen und, wenn es sich nicht vermeiden lässt, auf recycelbares Plastikmaterial zu achten. Hier kaufen wir Produkte, die nur aus einer Sorte Plastik bestehen und nicht zum Beispiel Joghurtbecher, die noch zusätzlich jeweils einen Aluminium- und Plastikdeckel aufweisen. 

Es gibt zunehmend Alternativen, wie sich Plastik vermeiden lässt. In vielen Städten gibt es bereits sogenannte Unverpackt-Läden, die Lebensmittel-, Kosmetika und Reinigungsmittel zum Selbstverpacken anbieten. Ferner haben wir die Flüssigseifen abgeschafft, die oft mit Mikroplastik belastet sind. Unsere Putzmittel bestehen aus natürlichen Stoffen wie Natron und Zitronensäure. Bei Produkten, bei denen ich mir unsicher bin, wende ich die App "CodeCheck" auf meinem Smartphone an. Sie zeigt mir, in welchen Produkten sich Mikroplastikpartikel verstecken oder welche bedenklich sind. Die App "Toxfox" filtert zudem zielsicher Produkte heraus, die mutmaßlich hormonell wirken. 

Auch den Kauf von Kleidung aus Plastik-Mischgewebe versuchen wir zu vermeiden und bevorzugen, soweit möglich, nachhaltig hergestellte Kleidung aus Baumwolle oder Wolle.

 

Hand aufs Herz, manchmal ist es zu umständlich oder gerade zu zeitaufwändig, auf Plastik zu verzichten – geht es Ihnen nicht auch so?

Dr. Saha: Allerdings. Gerade dann, wenn ich unter Zeitdruck stehe und die angestrebte Paprika oder der Salat im nächsten Supermarkt mal wieder nur in Plastik eingepackt angeboten wird. Da werde ich dann trotzdem leider schon mal schwach. Akzeptable Alternativen gibt es immer häufiger, werden aber – obwohl das Problem Plastikmüll in der Gesellschaft seit Jahren zunehmend diskutiert wird – immer noch zu wenig angeboten.

 

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen?

Dr. Saha: Alleine mit Selbstverpflichtungen der Hersteller und Händler wird sich nicht viel ändern. Der Druck muss vom Verbraucher ausgehen, denn es gibt ja zunehmend mehr umweltverträgliche Alternativen. Das EU-Plastikverbot für Einweggeschirr und Plastik-Strohhalme, welches 2021 in Kraft treten soll, ist bei weitem nicht ausreichend. 

Zudem häufen sich in den letzten Monaten erschreckende Nachrichten. So werteten zum Beispiel Forscher der Universität Newcastle, Australien, im Auftrag der Umweltstiftung WWF in einer Metastudie insgesamt 51 internationale Studien aus. Das Ergebnis zeigt, dass jeder Mensch mittlerweile pro Woche ca. 5 g Plastik zu sich nimmt. Das entspricht in der Größe einer Kreditkarte. Eine bisher unveröffentlichte Studie des Umweltbundesamtes und des Robert-Koch Institutes wies nach, dass im Urin fast aller 25.000 untersuchten Kinder zwischen drei und 17 Jahren Plastikinhaltsstoffe, insbesondere Weichmacher gefunden wurden. PVC-Weichmacher, sogenannte Phthalate, zum Beispiel stehen im Verdacht auf den Hormonhaushalt und damit auf die Fortpflanzung zu wirken. Fest steht jetzt schon, dass das Risiko der möglichen Entstehung hochtoxischer Verbindungen bedingt durch eine Vielzahl von unkalkulierbaren künstlichen Stoffen oder durch Akkumulation in der Umwelt deutlich erhöht ist. Die Auswirkungen auf die Gesundheit sind hier noch nicht abzuschätzen.

 

Wie fallen die Reaktionen aus, wenn Sie im Freundeskreis, in der Fachgruppe und auch bei der Pharmaindustrie das Thema ansprechen?

Dr. Saha: Den meisten geht es wie mir am Anfang. Sie sind mit mir zwar einer Meinung, aber oft aufgrund der zahlreichen Umweltproblematiken so frustriert, dass sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Viele sind zudem nicht ausreichend informiert oder es fehlt ihnen schlicht und ergreifend Zeit. Ich habe allerdings bisher noch Niemanden getroffen, der nicht gerne etwas gegen die Problematik Plastikmüll unternehmen würde. Leider höre ich auch häufiger den Spruch, dass ein Einzelner ja eh nichts ändern kann. Viele Menschen brauchen daher konkrete Mitmach- und Lösungsangebote, die sofort umsetzbar sind. 

 

Der 123. Ärztetag im kommenden Jahr hat als Leitthema „Klimawandel und Gesundheit“. Was erhoffen Sie sich davon und was möchten Sie erreichen?

Dr. Saha: In der Genfer Deklaration des Weltärztebundes, die eine mehrfach revidierte Fassung des Hippokratischen Eides darstellt und die als Präambel der Berufsordnung der deutschen Ärzte vorangestellt ist, heißt es unter anderem in der im Oktober 2017 beschlossenen Fassung: „Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein. (…) Ich werde mein medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin oder des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen.“

Wenn also Mikro- und Makroplastik nachweislich Organismen und unserer Umwelt schaden, wie kann ich dann als Ärztin diese weiterhin unter meinen Patienten verteilen? Weist mich die Präambel nicht genau darauf hin, dies zu unterlassen? Viele Stoffe in der Medizin müssen auf einen genauen Prüfstand gestellt werden. Die Verbreitung von Mikro- und Makroplastik macht hier einen wichtigen Anfang. Ich hoffe, dass dies zahlreiche Kollegen aller Fachrichtungen ähnlich sehen und auf dem 123. Ärztetag in Mainz durch klare Aussagen und Forderungen ein sehr deutliches politisches Signal zugunsten von Mensch und Umwelt setzen werden.

 

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Dr. Saha: Ich suche jetzt Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, mit mir einen Arbeitskreis zum Thema Plastikabfall in der Dermatologie zu gründen. Ziel ist es, in den Dialog mit Entscheidern zu treten und sinnvolle und zufriedenstellende Alternativen zu erarbeiten. Ich würde mich freuen, wenn sich diese Kolleginnen und Kollegen zeitnah unter der E-Mail-Adresse dermaplastik@avoid-unrequested-mailsweb.de bei mir melden würden.

Alle anderen möchte ich bitten, zu überlegen, welche Möglichkeiten sie haben Mikro- und Makroplastik in ihrer Praxis zu vermeiden. Wenn das flächendeckend geschähe, würde damit ein klares Signal gesetzt. Viele der bereits angerichteten Schäden durch Mikro- und Makroplastik können wir nicht mehr rückgängig machen; wohl können wir aber mit dafür sorgen, dass nicht noch mehr Schäden entstehen. 

Ich bin optimistisch, dass das zu schaffen ist, wenn das Problem jetzt gemeinsam angegangen wird.

 

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview führte Wolfgang Hardt

 

Weiterführende Links:

Fraunhofer Institut, Studie Mikroplastik:
www.umsicht.fraunhofer.de/content/dam/umsicht/de/dokumente/publikationen/2018/kunststoffe-id-umwelt-konsortialstudie-mikroplastik.pdf

Umweltbundesamt, Kunststoffabfälle:
www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgung-ausgewaehlter-abfallarten/kunststoffabfaelle#textpart-2

BUND, Einkaufsratgeber Mikroplastik: 
www.bund.net/service/publikationen/detail/publication/bund-einkaufsratgeber-mikroplastik

Heinrich Böll Stiftung, Plastikatlas: https://www.boell.de/de/plastikatlas