Abrechnungsmurks: Warum Kassenpatienten zwei OP-Termine brauchen, selbst wenn einer reicht...

Nach der neuesten Reform der Vergütungsregelungen für „Kassenärzte“ wird Hautärzten bei so genanten kleinen Operationen nur noch ein Eingriff je Behandlungsfall vergütet. Das heißt in der Praxis beispielsweise: sollen wie bisher mehrere kleinere Hautveränderungen am gleichen Tag entfernt werden, muß der Patient, wenn er denn „auf Kasse“ behandelt werden will, mehrfach wiederkommen. Ärzte nennen das kurz „Abrechnungsmurks“. Betroffene Patienten reagieren verärgert. Einer von Ihnen hat jetzt unter dem Pseudonym „Creator“ im Leserforum der Rheinischen Post im Internet seinem Unmut Luft gemacht.

„Creator meint: „Bald wiehert es aus allen Praxen“

DÜSSELDORF - Nach der neuesten Reform der Vergütungsregelungen für „Kassenärzte“ wird Hautärzten bei so genanten kleinen Operationen nur noch ein Eingriff je Behandlungsfall vergütet. Das heißt in der Praxis beispielsweise: sollen wie bisher mehrere kleinere Hautveränderungen am gleichen Tag entfernt werden, muß der Patient, wenn er denn „auf Kasse“ behandelt werden will, mehrfach wiederkommen. Ärzte nennen das kurz „Abrechnungsmurks“. Betroffene Patienten reagieren verärgert. Einer von Ihnen hat jetzt unter dem Pseudonym „Creator“ im Leserforum der Rheinischen Post im Internet seinem Unmut Luft gemacht.

Liebesleid und Liebesglück, der väterliche Klaps auf den Po des Sprößlings, der Stau auf der Autobahn, der Stellenabbau im Betrieb, all das ist der Stoff, den Creator – 48 Jahre, männlich erfährt man im „Profil“ – in seinen literarischen Beiträgen aufgreift. Auch in seinem „Brief an die Gesundheitsministerin“ hält er sich nicht mit den politischen Großkonflikten auf. Hier sein fiktives Schreiben im O-Ton:

 

Zu Anfang sei gesagt, dass ich mich nicht den derzeitigen offen geführten Diskussionen um die Neugestaltung Ihrer so genannten Gesundheitsreform widmen möchte. Im Übrigen ist diese Reform sicherlich keine Reform der Gesundheit, denn diese war schon immer so, wie sie heute noch ist. Schlicht und einfach gesund sein, heißt nun mal gesund sein. Nicht mehr und auch nicht weniger. Weniger
Gesundheit bedeutet nämlich krank sein, das wollen wir nicht und darüber erzähle ich später mehr. Also sei folgendes nur am Rande vermerkt: Die Gesundheit muss nicht reformiert werden, sondern wohl eher die Prozesse und Regeln, die den Apparat der Bürokratie mit all seinen gewollten und ungewollten Widrigkeiten so geschmeidig und gerecht wie nur irgend möglich steuern. Würden wir es mit Krankenversicherungsreform nicht treffender sagen können? Zu lang? Mag sein, im Bilden von Abkürzungen sind wir Deutschen doch auch sehr kreativ, aber KVR gibt es vielleicht schon? Ich weiß es nicht, ist auch nicht weiter wichtig.
Nein, wie bereits vorausgeschickt, über die Großbaustelle KVR möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen. Zuviel hört, ließt und sieht man in den Medien, zu sehr geht es für meinen Geschmack um die persönlichen und parteilichen Interessen und der davon direkt beeinflusste Grad an Intensität der Mitbestimmung, was die Ausgestaltung der neuen Form von Annahmen, Ausnahmen, Anpassungen und Streichungen angeht. Vielmehr möchte ich in den nächsten Zeilen aufzeigen, was sich täglich im Innern des Dschungels zuträgt, wenn bestehende Bestimmungen und Verordnungen angewandt werden, wie diese sich für alle Beteiligten im Schilda des Gesundheitslandes Deutschland darstellen, selbst erlebt am eigenen Leib und Portemonnaie.
Ich bin nicht krank, aber immerhin könnte ich es werden. Das hat mir mein Hautarzt mitgeteilt, nachdem ich mir eine vorsorgliche Ganzkörperuntersuchung auf verdächtige Hautveränderungen für über dreiunddreißig Euro geleistet hatte. Die zahle ich natürlich selbst und zu hundert Prozent aus eigener Tasche, weil es sich hier aus Sicht der Kassen ja noch nicht um eine Krankheit handele. Würde ich ohne Vorsorge infolge einer nicht frühzeitig erkannten Hauterkrankung aufwendig behandelt werden müssen, sähe das anders aus. Als Kasse zahlt man lieber die große Zeche, wie wir alle wissen. Dies ist nur ein Beispiel von vielen möglichen Vorsorgemaßnahmen, die im Verhältnis zu späteren möglichen Behandlungskosten verschwindend wenig kosten aber dennoch von den Kassen ignoriert werden.
Damit ich nun nicht krank werde, so mein Hautarzt weiter, müsse er mir zwei auffällige Muttermale entfernen. Keine große Sache, eher Routinearbeit, die man innerhalb einer Viertelstunde und entsprechender Nachsorge erledigen kann. Wir machen also zwei Termine an zwei aufeinander folgenden Tagen, sagt er, damit er die Fäden dann eine Woche später an einem einzigen Tag ziehen kann.
Wie bitte? Wieso zwei Termine für die Operation?
Wenn ich mich schon auf den Weg mache, meinem Arbeitgeber zudem diesen Tag fehlen werde, die Praxisräume für eine Stunde belege, den Arzt nebst Personal für geraume Zeit an mich binde, warum dann nicht mit dem bereits aktivierten Ressourcen das zweite verdächtige Objekt gleich mit erledigen, zumal sich beide am selben Unterschenkel befinden? Ganz zu schweigen von den mentalen Anstrengungen, die am Folgetag nochmals bewältigt werden müssen. Denn es ist immerhin ein operativer Eingriff, der ja nicht jedermann grenzenloses Vergnügen bereitet, mir jedenfalls nicht. Bin ich körperlich so schwach, dass ich zwei kleine Schnitte nicht überleben würde? Hat mein Arzt nicht soviel Zeit? Ich rate herum.
Weil wir es nicht abrechnen dürfen, erläutert er mir ein wenig kleinlaut mit einer Spur von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Mein Arzt darf also nur einen Eingriff am Tag abrechnen, obwohl beide medizinisch notwendig sind und innerhalb derselben Sitzung erfolgen könnten. Zudem handelte er kostensparend und effizient, täte er dies quasi mit einem Handgriff. Stellen Sie sich vor, sie fahren zehnmal zum Bäcker, um zehn Brötchen zu erstehen, weil er nur jeweils eines berechnen darf. Oder so. Wie auch immer, Sinn macht das nun wirklich nicht, so sehr ich mich auch anstrenge, den Grund für einen derartigen Schwachsinn zu herbeizudenken.
Frau Gesundheitsministerin, ich bin mir sicher, dass dies nur ein kleines unbedeutendes Beispiel dafür ist, wie sich der Amtsschimmel selbst in den Schweif beißt. Das der dabei stetig im Kreise läuft, ist naheliegend. Tun Sie was, sonst wiehert es bald aus allen Praxen.
Mit freundlichen Grüßen
Creator 2007 


Der Berufsverband der Deutschen Dermatologen bemüht sich seit Monaten gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung um eine Lösung des Problems, die auch bereits in Aussicht gestellt worden ist. Noch aber hat der zuständige Bewertungsausschuß von KBV und Krankenkassen nicht entschieden.