In der Schule wurde sie gemobbt. Ihr Ex-Freund schämte sich mit ihr. Menschen auf der Straße glotzen sie an. Viele ekeln sich und wenden sich ab. „Ich habe bisher viel durchgemacht“, fasst Inken Junge ihr Leben in einem Satz zusammen. „Es ist schlimm, wie eine Aussätzige behandelt zu werden, das tut einfach weh.“ Die 21-Jährige erlebt täglich neu das Repertoire der Stigmatisierung wegen ihrer Psoriasis. Fast ist es ein Glück, dass sie schon mit drei Jahren erkrankte, denn sie hat in den vielen Jahren gelernt, selbstbewusst mit ihrer immer noch unheilbaren Hauterkrankung umzugehen, so Junge heute in Berlin.
Volkskrankheit Schuppenflechte
In Deutschland sind etwa zwei Millionen Menschen an einer Schuppenflechte der Haut lebenslang erkrankt - davon etwa 400.000 in einer schweren bis schwersten Form. Über 1,2 Millionen Menschen mit Psoriasis leiden zudem zusätzlich an sogenannten Komorbiditäten wie zum Beispiel einer Arthritis, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder und Depression. „Diese Begleiterkrankungen erhöhen nicht nur die Krankheitslast, sie führen bei unbehandelten Patienten mit schwerer Psoriasis auch zu schweren Komplikationen und einer um durchschnittlich vier Jahre verminderten Lebenserwartung“, erläutert Professor Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf.
Angemessen behandelt werden können sowohl die Schuppenflechte der Haut und der Gelenke als auch die Begleiterkrankungen einer Schuppenflechte ggf. mit systemischen Therapeutika. Die Untersuchungen des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie belegen, dass laut Prof. Augustin immer noch zu viele Patienten mit schwerer Psoriasis und Psoriasis-Arthritis unzureichend versorgt sind. „Allein etwa 180.000 der 400.000 Patienten mit schwerer Psoriasis erhalten keine Systemtherapie – obwohl nach Leitlinie angezeigt“, erklärt der Versorgungsforscher.
Die unzureichende Versorgung der Patienten beklagt auch der Deutsche Psoriasis Bund (DPB), die Selbsthilfeorganisation bei Schuppenflechte. „Die seit Jahren bestehende Unterversorgung von schwer an Psoriasis erkrankten Menschen in Deutschland ist nicht fortgesetzt hinnehmbar“, unterstreicht DPB-Geschäftsführer Hans-Detlev Kunz. Patienten seien dafür freilich nicht verantwortlich.
Im Zeichen besserer Lebensqualität: Welt-Psoriasistag 2013
Der DPB verbindet den Welt-Psoriasistag mit fünf Forderungen, darunter:
- Der Gesetzgeber soll eine Regelung schaffen, die Krankenkassen zur Übernahme des DPB-Mitgliedsbeitrages zu verpflichten.
- Die Ärzte sollen verpflichtet werden, eine Patientenquittung über die erbrachten ärztlichen Leistungen auszustellen.
- Wissenschaftliche Studien sollen vorab in einem öffentlich-rechtlichen Register veröffentlicht werden, „sofern diese Studien für die Zulassung oder für die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels, einer medizinischen Methode, eines Heil- oder Hilfsmittels in Deutschland notwendig sind“.
Hintergrund: Der DPB fordert seit Jahren die nachhaltige Finanzierung von Konzepten zur gesundheitlichen Selbsthilfe bei Schuppenflechte, die Harmonisierung vom SGB V und SGB VI bei Leistungen zur Rehabilitation bei Psoriasis, eine deutlich bessere Dotierung der sprechenden Medizin sowie die Anerkennung des DPBs als Fachkreis für die Indikation Psoriasis mit der Beschränkung des Heilmittelwerbegesetzes sowie eine geminderte Umsatzsteuer auf verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Versorgungsziele 2010-2015
Zur Verbesserung der Versorgung aller Psoriasis-Patienten in Deutschland haben die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) und der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) im Frühjahr 2010 „Nationale Versorgungsziele 2010-2015“ aufgestellt. Vier Ziele wurden formuliert:
- „Patienten mit Psoriasis haben eine gute Lebensqualität“
- „Psoriasis-Arthritis wird frühzeitig erkannt und behandelt“
- „Komorbidität bei Patienten mit Psoriasis wird frühzeitig erkannt und behandelt“ und
- „Kinder mit Psoriasis werden frühzeitig behandelt und erlangen eine gute Lebensqualität“.
„Die Zwischenbilanz macht Hoffnung, die Ziele auch erreichen zu können“, freut sich BVDD-Vorstandsmitglied Dr. Ralph von Kiedrowski. So sei in den letzten Jahren die S3-Leitlinie Psoriasis intensiv in der Fachgruppe kommuniziert worden. Für die Psoriasis-Arthritis habe man einen Algorithmus zur Früherkennung sowie einen interdisziplinären Leitfaden entwickelt und veröffentlicht. Und zu den Begleiterkrankungen ist ein nationaler Konsensus für die strukturierte, frühzeitige Erkennung von Nebenwirkungen in Abstimmung mit anderen Fachgesellschaften publiziert worden.
Vergütung stimmt nicht
Zugleich warnt der Psoriasis-Experte vor Hindernissen, die alle Versorgungsziele gleichermaßen betreffen. Bei Politik und Kostenträgern fehle es nach wie vor an Bewusstsein für die Erkrankung. „Eine dermatologische Praxis müsse bei einer Quartalshonorierung pro Patient zwischen 12 und 18 Euro mit allen therapeutischen Aktivitäten in eine unvergütete Vorleistung gehen. Es wäre wünschenswert die Kostenträger von den zahlreich existierenden wirksamen Versorgungskonzepten überzeugen zu können“, unterstreicht von Kiedrowski.
Mehr Aufmerksamkeit für die Psoriasis und deren Wahrnehmung als ernstzunehmende Erkrankung zu erreichen – und zwar europaweit –, ist auch das Ziel des sogenannten „Psoriasis White Paper“. Dieses von der European Expert Working Group for Healthcare in Psoriasis (EEWGHP) ausgearbeitete Konsensuspapier beruht zu einem großen Teil auf deutschen Daten und Erfahrungen. „Die Versorgungsforschung und ihre Umsetzung in Versorgungskonzepte ist in Deutschland bei Psoriasis sehr viel weiter als in den meisten anderen EU-Ländern“, erklärt Augustin, Hauptautor des Papiers und EEWGHP-Vorsitzender. Im Kern enthält das Papier fünf Forderungen, mit denen Schuppenflechte-Patienten ein frühzeitiger Zugang zur Versorgung und einer adäquaten therapeutischen Behandlung ermöglicht werden soll.
Verbunden mit dem White Paper ist eine Petition an die Europäische Kommission, die laut Augustin inzwischen großes Echo gefunden hat. Die Anhörung der Experten und Patientenvertreter findet am 7. November 2013 in Brüssel statt. „Damit Psoriasis als schwere Erkrankung ernst genommen, eine bestmögliche Versorgung ermöglicht wird und dem Patienten hochwertige Therapien zu Gute kommen, braucht es veränderte Rahmenbedingungen, mehr Aufmerksamkeit, ein gesteigertes Verständnis und umfassendere Kenntnisse auch unter den Entscheidern im Gesundheitswesen“, ist Augustin überzeugt.
Selbsthilfe weltweit: Vernetzung hilft
Einen geradezu bahnbrechenden Erfolg in Sachen erhöhter Aufmerksamkeit für die Psoriasis hat aktuell die globale Selbsthilfe bei Schuppenflechte erzielt. Mit tatkräftiger Unterstützung aller 50 Mitgliedsländer – einschließlich Deutschlands – ist es der Selbsthilfe-Dachorganisation der Psoriasiskranken, der International Federation of Psoriasis Associations (IFPA), gelungen, das Executive Board der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Annahme einer Resolution zu bewegen, die im nächsten Jahr der Vollversammlung zur Verabschiedung vorgelegt werden soll. „Mit dieser Resolution wird die Psoriasis auf eine Stufe mit den bisher von der WHO vordringlich beachteten vier anderen großen, nicht infektiösen Volkskrankheiten Atemwegserkrankungen, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs gestellt“, erläutert Professor Joachim Barth, der als Vertreter des Deutschen Psoriasis Bund e.V., der Selbsthilfe bei Schuppenflechte, diese Initiative auf deutscher Seite maßgeblich unterstützt hat. Nach Annahme durch die Vollversammlung besteht die Chance, auf nationaler Ebene und damit auch in Deutschland Gesundheitsprogramme zur besseren Versorgung und Erforschung der Erkrankung anzustoßen.
WHO Resolution ist verabschiedungsreif
Inken Junge wird bereits heute gut versorgt: Sie nimmt seit einem Jahr ein Systemtherapeutikum. „Das hilft mir. Die Symptome auf der Haut sind seitdem fast weg“. Zwar ist sie gerade am Anfang der Therapie oft müde gewesen, matt und körperlich schnell erschöpft, doch trotz der Nebenwirkungen ist diese Behandlung für sie der richtige Weg. Und sie wünscht sich Ärzte, die bereit sind, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Wichtig sei es auch, immer wieder dran zu bleiben, bis die richtige Behandlung gefunden wurde. „Das kann die Beschwerden und Symptome eindeutig lindern“, so Inkens Erfahrung. wha/sei/BVDD 28.10.2013