Ein MVZ in Pulheim, das zytologische Laborleistungen für niedergelassene Gynäkologen erbringt, wollte in neun Kilometer Entfernung in Köln Büro- und Laborflächen von rund 1.000 Quadratmetern anmieten. Am bisherigen Standort seien die Kapazitäten erschöpft. Die Fahrzeit von der Praxis zu den Räumen in Köln beträgt 17 bis 19 Minuten. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen war der Ansicht, dass ausgelagerte Praxisräume nur im „räumlichen Nahbereich“ zulässig sind. Dies sei bei neun Kilometern und einer Fahrzeit von je nach Verkehrslage 17 bis 19 Minuten nicht mehr erfüllt. Die früheren Grundsätze für die inzwischen abgeschaffte Residenzpflicht, wonach für Ärzte ihre Praxis innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein musste, seien hier nicht anwendbar. Die Richter am BSG waren anderer Meinung.
Die zeitliche Erreichbarkeit innerhalb von maximal 30 Minuten ist generell ein geeignetes Kriterium zur Bestimmung der räumlichen Nähe. Es stellt sicher, dass der Vertragsarzt zur Durchführung seiner Sprechstunden und auch bei Notfällen am Vertragsarztsitz persönlich zur Leistungserbringung in angemessener Zeit zur Verfügung steht. Es trägt unterschiedlichen Anforderungen an ländlich strukturierte Gebiete wie auch an dicht besiedelte Großstadtgebiete hinreichend Rechnung.
Hauptsitz und ausgelagerte Räume der Praxis müssen aber keine organisatorische Einheit bilden. Insoweit rückte das BSG von der früheren Rechtsprechung ab. Diese Rechtsprechung sei zu „überholten berufsrechtlichen Vorgängerregelung“ ergangen. Durch die Digitalisierung seien enge Organisationsstrukturen auch über größere Entfernungen hin möglich geworden.
Die Richter der Vorinstanz könnten offenlassen, ob möglicherweise bei reinen Laboruntersuchungen, die ohne Arzt-Patienten-Kontakt in ausgelagerten Praxisräumen durchgeführt werden, im Einzelfall auch längere Wegezeiten als 30 Minuten in Betracht kommen. Darauf kommt es hier nicht an, weil bereits die Grenze von 30 Minuten nicht erreicht wird.
Weiterhin gilt aber, dass in ausgelagerten Praxisstätten nur spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen erbracht werden dürfen und – anders als in Zweigpraxen – nicht das gesamte Spektrum. Dabei beziehe sich der Begriff der „speziellen Leistungen“ nicht auf die jeweilige Arztgruppe, sondern auf das Leistungsspektrum der betreffenden Praxis oder des MVZ. Daher könne auch ein Arzt, der im Vergleich zur Fachgruppe insgesamt überwiegend spezielle Leistungen erbringt, in ausgelagerten Räumen nicht im Wesentlichen die gleichen Leistungen wie am Hauptsitz anbieten.
BSG 6.4. 2022, Az.: B 6 KA 12/21 R