Patientinnen und Patienten eines Zahnarztes hatten sich über dessen Behandlung sowie über vermeintlich überhöhte und fehlerhafte Abrechnungen des Zahnarztes beschwert. Um zu überprüfen, ob die Rechnungen zu bezahlen sind, beauftragte die Krankenversicherung der Patienten einen zahnärztlichen Gutachter, ein schriftliches Gutachten über die abgerechneten Leistungen zu erstellen. Was der Gutachter dann über die abgerechneten Leistungen schrieb, missfiel
dem behandelnden Zahnarzt. Er sah sich unkollegial behandelt. Er beschwerte sich deshalb und verlangte ein berufsgerichtliches Einschreiten gegen den Gutachter.
Das Gericht hatte nun zu beurteilen, ob sich der Gutachter unkollegial verhalten hatte, indem er bei einer schriftlichen Begutachtung für eine Krankenversicherung folgende Aussagen traf:
- Die Rechnungen des Behandlers seien wegen sachlicher Fehler „ungültig“.
- Bei den Fehlern in den Rechnungen des begutachteten Arztes handele es sich nicht mehr um reine Flüchtigkeitsfehler.
- Die Rechnungsstellung sei für den Patienten unzumutbar intransparent und befremdlich.
- Diverse Abrechnungspositionen identischer Behandlungstage seien nicht chronologisch jeweils in drei separat erstellten Rechnungen aufgeführt und dem Patienten gegenüber doppelt abgerechnet worden.
- Eine Vielzahl von Positionen seien fachlich zu Unrecht zulasten des Patienten in die Rechnungen eingestellt.
- Die Beschleifung der fünf Frontzähne der damals 20-jährigen Patientin zu Kronenstümpfen und deren angeschlossene langzeitprovisorische Versorgung seien nicht medizinisch indiziert gewesen.
- Die Behandlung eines älteren Patienten sei in einem Fall „riskant“ gewesen.
- Die vom Behandler geplante Therapie würde bei der Patientin zu grundlegenden Problemen führen; es irritiere ihn sehr, dass dem Behandler der aktuelle Standard der Funktionslehre offenbar nicht bekannt sei, obgleich dieser in diesem Fachgebiet arbeite.
- Das Verhalten des Behandlers sei „unverständlich“, „oberflächlich“, „wenig glaubhaft“, „verwirrend“, „nicht nachvollziehbar“ und „fehlerhaft“.
Nach Meinung des Gerichts sind diese Aussagen keine unkollegiale Äußerung im Sinne des § 8 Absatz 1 der Berufsordnung für Zahnärzte in Bayern, der wie folgt lautet: „Der Zahnarzt hat gegenüber allen Berufsangehörigen jederzeit kollegiales Verhalten zu zeigen“. Von einer Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens sei daher abzusehen.Maßgeblich war dabei, dass der begutachtende Arzt die verfahrensgegenständlichen Formulierungen jeweils im Rahmen der Erstattung
von Gutachten, sprich in einem fachlichen Kontext verwendete, um die nach seiner Ansicht folgenschweren Behandlungsfehler und die eingeschliffenen Rechnungsstellungsfehler von Kollegen zu unterstreichen. Zu berücksichtigen war auch, dass der Zahnarzt die ihm vorgeworfenen Fehler nicht bestritt und dass das Gutachten diese Fehler aufdeckte. Aus Sicht des Gerichts hatte der begutachtende Arzt mit seinen Äußerungen auch nicht die Grenze zur unsachlichen, schmähenden Kritik überschritten. Die Meinungsäußerungsfreiheit des begutachtenden Arztes ist hier als vorrangig gegenüber der allgemeinen Berufspflicht des kollegialen Verhaltens anzusehen.
Bayerisches Oberstes Landesgericht, 14.2.2024, Az. 301 LBG-Z 1/23