Arbeitsunfähigkeit Lange krank: Diagnosen müssen offengelegt werden

ErfurtRechtliches

Wer mit mehreren Erkrankungen insgesamt mehr als sechs Wochen krank ist, muss nachweisen, dass es sich tatsächlich um verschiedene Erkrankungen handelt. Dem steht nicht entgegen, dass der erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.

Ein Mann arbeitet in der Gepäckabfertigung am Frankfurter Flughafen und war in den Jahren 2019 und 2020 in erheblichem Umfang krank – zwischen dem 24. August 2019 und dem 13. August 2020 an insgesamt 110 Tagen. Zwischen dem 18. August und dem 23. September 2020 erkrankte er mehrfach erneut für ein bis drei Tage. Hierfür leistete der Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung mehr; es müsse sich um Fortsetzungserkrankungen handeln, für die der Lohnfortzahlungszeitraum überschritten sei.

Der Mann behauptete, Grund für seine Fehltage zwischen dem 18. August und dem 23. September seien verschiedene neue Erkrankungen gewesen. Mit seiner Klage verlangte er Lohnfortzahlung für insgesamt zehn Tage. Zum Nachweis legte er die Diagnose-Codes (ICD 10) der neuen Erkrankungen vor und benannte die früheren Krankheitstage, die nach seiner eigenen Einschätzung auf dieselben Erkrankungen zurückgehen. Andere frühere Erkrankungen müsse er nicht offenlegen. Dem Arbeitgeber reichte dies nicht aus, er verweigerte auch nach diesen Auskünften die Lohnfortzahlung und gewann den Prozess.

Nach Ansicht des Gerichtes müsse der Arbeitnehmer sämtliche Erkrankungen offenlegen und gegebenenfalls auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Eine ärztliche Erstbescheinigung genüge insbesondere dann nicht mehr, wenn sie von einem anderen Arzt oder einer anderen Ärztin ausgestellt
wurde. Denn diese habe dann naturgemäß keinerlei Aussagekraft dazu, ob es sich um eine Folgeerkrankung handelt.

Dieser Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sei „verhältnismäßig und damit gerechtfertigt“, so
das Gericht. Denn nur so lasse sich klären, ob ein weiterer Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht. Dass Arbeitgeber die Krankenkasse um eine Einschätzung bitten können, ob eine Folgeerkrankung besteht, ändere daran nichts. Diese Einschätzung sei weder für die Arbeitgeber noch für die Arbeitsgerichte bindend, zumal die Krankenkassen hier nicht unparteiisch seien, sondern eigene finanzielle Interessen hätten.

Den Vorschlag, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Erkrankungen nur einer oder einem Sachverständigen offenlegen, lehnte das Gericht ab. Solche „geheime Verfahren“ seien mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht vereinbar. Denn auch der Arbeitgeber müsse die Möglichkeit haben, ein Sachverständigengutachten zu überprüfen.

Zwar hätten Arbeitnehmer grundsätzlich ein hohes Interesse am Schutz ihrer Gesundheitsdaten. Gleichzeitig durchbreche die Lohnfortzahlung aber den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ und greife so in die Berufsfreiheit der Arbeitgeber ein. Die gesetzlichen Regelungen zum Sechs-Wochen-Zeitraum hätten den Zweck, die wirtschaftliche Belastung durch die Lohnfortzahlung in einem zumutbaren Rahmen zu halten. Für die Arbeitgeber müsse dies in einem rechtsstaatlichen
Verfahren überprüfbar sein.

 

BAG 18.1.2023, Az. 5 AZR 93/22