Ein Mann war bei einer Firma als technischer Leiter beschäftigt. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2019 sprach die Firma eine
fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Mann einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine monatlich verminderte Vergütung anbot. Der Mann lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Firma das Arbeitsverhältnis erneut und zwar außerordentlich. Ferner wies sie darauf hin, „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte sie den Kläger „am 17.12.2019 spätestens um 12.00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“. Dem leistete der Mann nicht Folge. In dem von ihm anhängig gemachten Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben.
Der Mann hielt die Kündigung für unwirksam und erhob Klage, mit der er Vergütung wegen Annahmeverzugs auf Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Mann habe trotz der unwirksamen Kündigungen der Firma keinen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung, weil er das Angebot der Firma, während des Kündigungsschutzprozesses bei
ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe. Der Mann sei deshalb nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB gewesen.
Die vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts nachträglich zugelassene Revision des Klägers war erfolgreich. Die Firma befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Mannes bedurft hätte. Weil die Firma selbst davon ausging, eine Weiterbeschäftigung des Mannes sei ihr nicht zuzumuten, spricht wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Mann kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitete. Die Ablehnung eines solchen „Angebots“
lässt nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Mannes schließen. Es käme lediglich in Betracht, dass er sich den böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsste. Das schied im Streitfall jedoch aus, weil dem Mann aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Firma nicht zuzumuten war.
Dem steht nicht entgegen, dass der Mann im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dieser Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet. Nur wenn der Mann in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich widersprüchlich verhalten. Hier ging es indes um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann.
BAG, 29.3.2023, Az. 5 AZR 255/22