Ein Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin arbeitete 2013 als zweiter Chefarzt der Inneren Medizin am Liechtensteinischen Landesspital. Dort stieß er auf Informationen, wonach vier Patienten verstorben waren, nachdem ein Kollege ihnen Morphium verabreicht hatte.
Der Arzt ging davon aus, dass es sich um Euthanasie gehandelt habe. Anstatt zunächst das interne Beschwerdesystem der Klinik zu nutzen, informierte er direkt den Staatsanwalt. Die anschließenden Ermittlungen führten zu erheblicher medialer Aufmerksamkeit. Zunächst eine interne und dann eine externe Untersuchung bestätigten jedoch, dass die Morphingaben des Kollegen medizinisch nicht zu beanstanden waren. Daraufhin wurden die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt. Dem Arzt wurde fristlos gekündigt. Dieser erhob gegen die Kündigung Klage und forderte 600.000 Franken Schadenersatz. Dies aber vergeblich.
Die Straßburger Richter ließen offen, ob der Internist seinen Verdacht zunächst hätte klinikintern äußern müssen. In Anbetracht der Schwere der Vorwürfe habe er diese aber auf jeden Fall besser erhärten und beispielsweise die Fallakten genau ansehen müssen, ehe er nach außen ging. Zwar habe der Arzt „nicht aus unlauteren Motiven gehandelt“. Angesichts der erheblichen Auswirkungen auf den Ruf des Krankenhauses und des Kollegen sei die Entlassung aber gerechtfertigt und verhältnismäßig gewesen, befand der EGMR. Dieser Schritt habe wohl auch eine abschreckende Wirkung entfalten sollen. Dies war aber zulässig.
EGMR, 16.2.2021, Az.: 23922/16