Prüfungsverfahren Praxisbesonderheiten schon im Prüfungsverfahren vortragen

StuttgartRechtliches

Die Betreuung von älteren Patientinnen und Patienten in einem Pflegeheim kann eine Praxisbesonderheit der Arztpraxis darstellen; dies aber nur dann, wenn nachweisbar ein erhöhter Behandlungsbedarf besteht. Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt muss die Tatsachen, die diese Praxisbesonderheit begründen, schon im Verfahren vor den Prüfgremien so genau wie möglich angeben und belegen. Es reicht nicht aus, wenn sie oder er dies erst im Sozialgerichtsverfahren tut. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden.

Eine allgemeinmedizinische Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) behandelte viele Fälle im Bereich Palliativmedizin, Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Demenz. Die Prüfungsstelle stellte ein Überschreiten des Fachgruppendurchschnitts fest. Im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren wandte die BAG als Praxisbesonderheit ein, ihr Schwerpunkt liege im Bereich Palliativmedizin, Geriatrie und Gerontopsychiatrie, speziell Demenz, und sie habe hier ein integratives Therapieangebot aufgebaut. Ein Vergleich der in diesem Bereich verordneten Medikamente mit der Vergleichsgruppe würde sicher ergeben, dass die Praxis deutlich über dem Durchschnitt liege, so die BAG.

Die Prüfgremien setzten schließlich einen Regress von rund 30.000 Euro fest. Dagegen legte die BAG erfolglos Widerspruch ein. Auch eine Klage gegen den Regressbescheid war erfolglos. Die BAG legte deshalb Berufung zum Landessozialgericht ein und scheiterte auch dort.

Das Gericht war der Ansicht, dass die BAG die Praxisbesonderheiten nicht früh und nicht umfassend genug dargelegt habe. Praxisbesonderheiten sind anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden. Die Abrechnung eines (bloßen) „Mehr“ an fachgruppentypischen Leistungen begründet keine Praxisbesonderheit.

In der vertragsarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung obliegt die Darlegungsund Feststellungslast für besondere Umstände, wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen, dem Vertragsarzt. Grundsätzlich ist es daher Angelegenheit des Vertragsarztes, die für ihn günstigen Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen.

Der Vertragsarzt ist gehalten, solche Umstände im Prüfungsverfahren – also spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren – geltend zu machen, die sich aus der besonderen Praxis ergeben. Die Darlegungen müssen substantiiert sein und spezielle Strukturen der Praxis aufzeigen. Die bloße Auflistung von Behandlungsfällenmit Diagnosen und Verordnungsdaten genügt nicht. Notwendig ist grundsätzlich, dass die Ärztin oder der Arzt seine Patientinnen und Patienten und deren Erkrankungen systematisiert, etwa schwerpunktmäßig behandelte Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz der Patientinnen und Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Behandlung beziehungsweise Arzneimitteln durchschnittlich für die Therapie einer solchen Erkrankung erforderlich ist.

 

LSG Baden-Württemberg, 15.11.2023, Az. L 5 KA 3043/21