Eine zur Weiterbildung als Fachärztin in einer Praxis angestellte ärztliche Mitarbeiterin darf bei einer vorzeitigen Kündigung mit einer Vertragsstrafe belegt werden. Allerdings ist solch eine Klausel im Arbeitsvertrag unwirksam und benachteiligt die Mitarbeiterin unangemessen, wenn der Arbeitgeber unabhängig vom Ausbildungsfortschritt bei einer Arbeitnehmerkündigung generell eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern verlangt.
Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde: Eine aus Baden-Württemberg stammende Frau hatte am 1. Februar 2016 den ersten Abschnitt ihrer 60-monatigen Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie in einer Gemeinschaftspraxis begonnen. Dort sollte sie 42 Monate ausgebildet werden. Danach hätte die Ärztin ihre Weiterbildung bei einem anderen Träger fortführen müssen. Der Arbeitgeber wollte sicherstellen, dass die Frau nicht vorzeitig kündigt, damit er mit Fortschreiten der Ausbildung ihre Arbeitskraft besser nutzen kann. Im Arbeitsvertrag wurde daher eine Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsgehältern festgelegt, falls die ärztliche Mitarbeiterin nach der fünfmonatigen
Probezeit und vor Ende der 42-monatigen Ausbildung kündigt.
Als die neue ärztliche Kollegin wegen familiärerUmstände tatsächlich den Vertrag eineinhalb Jahre vor Ende ihres Ausbildungsabschnitts kündigte, wollte sie die Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 13.305 Euro brutto wegen „unangemessener Benachteiligung“ nicht zahlen. Der Arbeitgeber, mittlerweile ein MVZ als Rechtsnachfolgerin der Gemeinschaftspraxis, hielt die Vertragsstrafenklausel für wirksam. Sie sei eindeutig formuliert und von der Höhe her angemessen. Es gebe keinen allgemeinen Grundsatz, dass eine Vertragsstrafe höchstens eine Bruttomonatsvergütung
betragen dürfe.
Das sahen die Richterinnen und Richter anders. Die Ärztin sei mit der Vertragsstrafe von 13.305 Euro unangemessen benachteiligt worden. Allerdings sei die Klausel ausreichend klar formuliert gewesen. Die unangemessene Benachteiligung liege vielmehr in der Höhe der pauschal festgelegten Vertragsstrafe. Zwar sei eine Vertragsstrafe von mehr als einem Bruttomonatsgehalt nicht generell unangemessen. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein Arbeitnehmer durch die Höhe der Vertragsstrafe unangemessen benachteiligt werde. Dies sei hier der Fall, da die Vertragsstrafe bei einer Kündigung sowohl direkt nach der Probezeit als auch kurz vor Ende des Ausbildungsabschnitts immer gleich hoch sei.
Gerade nach Ende der Probezeit sei der Ausbildungsaufwand aber noch überschaubar, eine pauschale Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsgehältern daher nicht gerechtfertigt. Hinzu komme, dass während der Probezeit bei einer Kündigung überhaupt keine Vertragsstrafe fällig werde.
BAG, 20.10.2022, Az. 8 AZR 332/2