Praxisaufbau Ohne Fallzahlen keine Nachbesetzung

MarburgRechtliches, Praxismanagement

Ein Vertragsarzt hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens, wenn er bisher noch keine nachbesetzungsfähige Praxis aufgebaut hat. Denn dann ist eine Nachbesetzung in einem überversorgten Gebiet aus Versorgungsgründen nicht erforderlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arzt wegen der Coronakrise die Praxis nicht aufbauen konnte oder ob er dies von vorneherein nicht beabsichtigte. Das hat das Sozialgericht Marburg entschieden.

Ein Arzt wollte seine kürzlich erworbene Zulassung an ein MVZ abgeben. Allerdings hatte er bis dahin kaum Patienten behandelt. Die Fallzahlen lagen in den Quartalen IV/19 bis I/21 bei insgesamt 15 Fällen. Die Fallzahlen der Fachgruppe beliefen sich dagegen beispielsweise im Quartal IV/19 auf 213 Fälle. Der Zulassungsausschuss lehnte eine Nachbesetzung ab, weil keine nachbesetzungsfähige Praxis bestehe. Dagegen klagte der Arzt, scheiterte aber vor dem Gericht.

Nach Ansicht der Richter muss der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang vertragsärztlich tätig gewesen sein. Das setzt den Besitz beziehungsweise Mitbesitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-technischer Hinsicht voraus.

Das traf auf den Arzt nicht zu. Er hatte seit seiner Zulassung keine Praxis aufgebaut. Darauf weisen bereits die geringen Honorarumsätze und Fallzahlen hin. Dabei ist es unerheblich, ob der Arzt nie beabsichtigt hat, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen, oder lediglich äußere Umstände wie die Coronakrise einen Praxisaufbau verhindert haben. Maßgeblich für ein Nachbesetzungsverfahren ist allein der Umstand, ob objektiv ein nennenswertes Praxissubstrat vorliegt.

Der Arzt ist auch nicht durch die Ablehnung der Nachbesetzung in seinem Eigentum verletzt. Denn ein Interesse an der Verwertung lediglich der Zulassung sei nicht geschützt, weshalb ein Wille bestehen muss, die Praxis zu veräußern, was aber nur bei einer vorhandenen Praxis möglich ist. Eigentumsrechtlich sei nur die Verwertung der Praxis als solche geschützt, nicht die damit verbundene öffentlich-rechtliche Zulassung. Auch eine Verletzung der Berufsfreiheit des Arztes lag nicht vor.

 

Sozialgericht Marburg, 8.10.2021, Az.: S 12 KA 77/21