Gutachten Wann eine Vertrauensperson mit zur Untersuchung darf

KasselRechtliches, Praxismanagement

Grundsätzlich steht es der Person, die begutachtet werden soll, frei, zu einer Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen eine Vertrauensperson mitzunehmen. Der Ausschluss der Vertrauensperson ist aber möglich, wenn er im Einzelfall zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege – insbesondere mit Blick auf eine unverfälschte

Beweiserhebung – erforderlich ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden.

Ein Mann wendete sich gegen die Herabsetzung des bei ihm ursprünglich festgestellten
Behinderungsgrades von 50 auf 30 Prozent. Im Klageverfahren wurde ein Orthopäde beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Bei der gutachterlichen Untersuchung bestand der Mann auf die Anwesenheit seiner Tochter. Daraufhin beantragte der Sachverständige seine Entpflichtung, weil die Anwesenheit Dritter in gutachtlichen Untersuchungen bei ihm prinzipiell auf erhebliche Bedenken stoße. Die Erhebung objektiver Befunde werde dadurch erschwert. Der daraufhin beauftragte weitere orthopädische Sachverständige lehnte die Untersuchung des Mannes ebenfalls ab, weil durch die verlangte Anwesenheit seines Sohnes eine Zeugenungleichheit entstehe. Nachdem der Mann seinerseits eine Begutachtung ohne Anwesenheit einer Begleitperson abgelehnt hatte, wurde die Klage abgewiesen.

Das BSG war anderer Ansicht. Einem zu Begutachtenden stehe es im Grundsatz zu,
eine Vertrauensperson zu einer Untersuchung mitzunehmen. Das Gericht kann jedoch den Ausschluss der Vertrauensperson anordnen, wenn ihre Anwesenheit im Einzelfall  eine geordnete, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert. Differenzierungen zum Beispiel nach der Beziehung des Beteiligten zur Begleitperson, dem medizinischen Fachgebiet oder unterschiedlichen Phasen der Begutachtung sind in Betracht zu ziehen.

 

BSG, 27.10.2022, Az. B 9 SB 1/20R