Eine Firma beschäftigte eine Frau vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Firma der Frau zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto. Der weitergehenden Forderung der Frau, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam die Firma nicht nach. Das Arbeitsgericht wies die Klage der Frau ab. Dagegen sprach das Landesarbeitsgericht der Frau 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu. Nach Ansicht des LAG waren die Urlaubsansprüche noch nicht verjährt.
Das war auch die Meinung der Richterinnen und Richter am BAG, die die Revision zurückwiesen. Zwar finden die Vorschriften des BGB über die Verjährung auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das BAG hat damit die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022 umgesetzt.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Urlaub zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.
Die Firma hat die Frau nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisverpflichtung in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres noch eines zulässigen Übertragungszeitraums. Die Firma kann sich auch nicht darauf berufen, dass der nicht gewährte Urlaub bereits während
des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt sei. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Frau innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.
BAG, 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20